Fundamentaler Attributionsfehler – wenn wir innen und außen vertauschen

von | 12. 06. 2021

Wir werten bei anderen in manchen Fällen als Persönlichkeitseigenschaft, was durch die Situation begründet ist, in der wir sie erleben. Wenn wir selbst scheitern, bewältigen wir das hingegen manchmal damit, das gerade Gegenteil davon tun, nämlich den Grund dafür in der Situation zu sehen.

 

Unter Attribution versteht man alle Formen von Eigenschafts- und Ursachenzuschreibung (Zimbardo/Gerrig, 2008). Dabei ist zu unterscheiden, ob das Attribut etwas ist, das zum Wesen eines Phänomens gehört, also durch innere Disposition ausgelöst wird (interne Attribution) oder ob es durch den Kontext angestoßen geschieht, also extern zu attribuieren ist (Jonas et al. 2014). Beispielsweise, wenn wir ein Online-Gespräch mit jemandem führen, den wir nicht kennen: Die andere Person erscheint vielleicht nervös und durch diese Nervosität bedingt zerfahren in ihrer Argumentation. Man gelangt (unbewusst) zu dem Schluss, dies sei eine Persönlichkeitseigenschaft der Person und schließt in weiterer Folge vielleicht: Der Person mangele es an Kompetenz. Das heißt, wir attribuieren die Nervosität intern, als zu der Person gehörende Wesenseigenschaft. Und das, obwohl sie vielleicht nur Ängstlichkeit gegenüber Online-Calls entwickelt hat und in diesem situativen Umstand die wesentliche Ursache für ihr jetziges Verhalten liegt. Dies lässt sich 1:1 auf Bewerbungsgespräche übertragen.

 

Situationsumstände unterschätzen als klassischer Attributionsfehler

Der Attributionsfehler veranlasst Menschen, den Einfluss von situativen Faktoren auf das Verhalten anderer zu unterschätzen und den Einfluss von Persönlichkeitsfaktoren (Dispositionen) zu überschätzen (Greifeneder et al., 2018). So verstehen wir die Handlungen anderer weniger von ihrer Umwelt beeinflusst, als es der Fall ist, und nehmen an, ihre Handlungen würden stärker von ihrer Persönlichkeit beeinflusst, als es der Fall ist. Der Attributionsfehler besteht darin, intern zu attribuieren, was extern verursacht worden ist.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits ist Aufmerksamkeit eine beschränkte Ressource und externe Ursachen sind vielleicht nicht mehr wahrnehmbar, wenn das beobachtete Verhalten auftritt (Aronson et al., 2008). Interne Attribution ermöglicht außerdem, rasch Urteile zu treffen, da es wesentlich weniger Aufwand bedeutet, anzunehmen, das Verhalten anderer würde aus inneren Merkmalen hervorgehen, als die verschiedenen situativen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhalten beeinflussen können. Wir begehen in der Eigenwahrnehmung diesen Fehler – intern zu attribuieren, was extern verursacht ist – nicht. Das lässt sich erklären mit der Akteur-Beobachter-Asymmetrie, damit, dass wir in Eigen- und Fremdwahrnehmung unterschiedliche Wahrnehmungen (als Akteur „sieht“ man die Situation, während man als Beobachter den Akteur „sieht“  (Dorsch et al., 2013)) und unterschiedliche Informationen zur Verfügung haben (der Akteur weiß mehr über sich selbst als der Beobachter (ebd.)). Ja, wenn unsere eigenen Handlungen schieflaufen, neigen wir dazu, die Gründe dafür eher in äußeren Umständen zu sehen. Das fördert den Selbstwert bzw. beschützt ihn davor, Schaden zu nehmen. Hier findet also eine Umkehrung des Attributionsfehlers statt.

 

Attributionsfehler verbunden mit anderen Cognitive Biases

Ohne dass wir das in der Regel merken, wird entsprechend unseren Erwartungen Attribution eingesetzt, um diese Erwartungen zu bestätigen (Confirmation Bias). Wenn beispielsweise negative Stereotypen, (un)bewusste Vorbehalte gegenüber einer Person oder Gruppe bestehen, dann ist die Tendenz erhöht, negative Resultate intern zu attribuieren und positive extern. So kann etwa in einem Recruitingprozess die Leistung, die eine Frau erbracht hat, äußeren Faktoren zugerechnet werden, sodass diese nicht länger als Leistung erscheint. Also etwa, dass eine Prüfung leicht war. Auch stereotypbedingt umgekehrt, so, dass Schwächen/Rückschläge bei Männern in manchen Bereichen (wie STEM, d.h. Science, Technology, Engineering und Math) eher extern und bei Frauen eher intern attribuiert werden (LaCosse et al. 2016).

 

Möglichkeiten mit dem Attributionsfehler umzugehen
  • Den Zusammenhang von Verhalten und Situation in Bezug auf eine bestimmte Person anhand folgender Fragen analysieren (nach Harold Kelley, in: Aronson et al., 2008):

–          Ist das Verhalten spezifisch für diese Situation oder tritt es in verschiedenartigen Situationen vor?
–          Tritt das Verhalten wiederholt als Reaktion auf diese und ähnliche Situationen auf?
–          Verhalten sich andere Menschen in der gleichen Situation genauso?

  • Evaluieren, welche Gründe hinter dem Urteil über eine Person stehen, um zu verhindern, dass man unbewusst dem Attributionsfehler aufsitzt (Aktivierung von System 2).
  • Eine Reihe möglicher weiterer Erklärungen für das Verhalten der Person finden, die man gerade beurteilt, inklusive situativer Erklärungen (Aktivierung von System 2).

 

Weiterführendes und Quellen:

  • Aronson, E., Wilson, T. D., Akert, R. M. (2008): Sozialpsychologie (6. Auflage). Pearson Studium.
  • Dorsch, F., Wirtz, M. A., & Strohmer, J. (2013). Lexikon der Psychologie (19. Auflage). Hogrefe.
  • Greifeneder, R., Bless, H., Fiedler, K. (2018): SOCIAL COGNITION. Routledge.
  • Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone, M. (2014): Sozialpsychologie (6. Auflage). Springer.
  • LaCosse, J., Sekaquaptewa, D., Bennett, J.: STEM Stereotypic Attribution BiasAmong Women in an Unwelcoming Science Setting. In: Psychology of Women Quaterly 40 (2016).

 


 

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