„Language is a window into human nature, but it is also a fistula, an open wound through which we’re exposed to an infectious world.“ – Steven Pinker (The Stuff of Thought)
Von diesem Ausgangspunkt scheint es Steven Pinker nur allzu plausibel, dass wir unsere Worte weise wählen und unsere Gedanken oft hinter Doppeldeutigkeiten und Floskeln verbergen. Sobald wir sprechen, geben wir etwas von uns Preis. Die gewählten Worte verraten vermeintlich vieles über unsere Persönlichkeit, aber vor allem wenn ein Akzent oder ein Dialekt in der Sprache wahrgenommen wird, können schnell und direkt Assoziationen über unsere Person wachgerufen werden, welche auf Stereotypen und Vorurteilen beruhen. In diesem Fall wird von einem Akzent Bias (engl. Accent Bias) gesprochen.
Sieben Wörter reichen, um die soziale Herkunft einzuschätzen
Zunächst gilt es festzuhalten, dass der Mensch erstaunlich effektiv ist, wenn es darum geht die soziale Herkunft aus der Sprache eines Gegenübers abzuleiten. Wie eine Forschungsgruppe um Michael Kraus feststellen konnte, reicht bereits das Hören von sieben Wörtern aus, um eine überzufällig genaue Einschätzung der sozialen Herkunft einer Person zu erlauben.
Mit dieser Einschätzung werden gleichzeitig Assoziationen erweckt, welche auf früheren Erfahrungen und Stereotypen basieren. In Folge können diese unsere Wahrnehmung von, sowie unser weiteres Verhalten gegenüber der Person beeinflussen. Besonders deutlich wird die Veränderung der Wahrnehmung beim Phänomen des Grammatik-Tinnitus, bei dem Personen mit ausländischem Akzent Grammatikfehler unterstellt werden, obwohl diese grammatikalisch einwandfrei sprechen.
Die Auswirkungen des Accent Bias zeigen sich deutlich in Bewerbungssituationen und Karriereverläufen. Über viele Studien hinweg konnten Dialekte und Akzente, welche mit negativen Vorurteilen verbunden sind, mit niedrigeren Gehältern und geringeren Aufstiegschancen in Verbindung gebracht werden. Dies geschieht unabhängig von den Qualifikationen und Fähigkeiten der Person: Dialekte und Akzente beeinflussen unbewusst die Wahrnehmung der Kompetenz und Intellektualität einer Person. Umgekehrt können Akzente und Dialekte, welche positive Assoziationen wecken zu einem ebenso unbegründeten Bonus in der Wahrnehmung führen. In beiden Fällen werden also Entscheidungen getroffen, welche wenig mit den tatsächlichen Eigenschaften einer Person zu tun haben.
Doch warum entstehen solche Assoziationen und was kann getan werden, um sie nicht in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen?
Accent Bias – Die Hintergründe
Ein im Deutschen sehr beliebter Akzent ist der französische. Er wird häufig als wohlklingend und gebildet empfunden, während das sogenannte „Kiezdeutsch,“ welches vor allem in urbanen multiethnischen Kontexten verwendet wird, eher die umgekehrten Assoziationen wachruft (Als „Kiez“ wird vor allem in Berlin ein überschaubarer Stadtteil bezeichnet). In Österreich wäre „Grätzeldeutsch“ in etwa vergleichbar mit diesem Phänomen. Dieser Unterschied hat allerdings nichts mit dem Klangbild der Sprache zu tun, sondern beruht überwiegend auf Erfahrungen und Vorurteilen, welche mit dem jeweiligen Klang verbunden sind. Dementsprechend führt das Kiezdeutsch eher bei älteren und in ländlicheren Gebieten lebenden Personen zu negativen Assoziationen, während dies bei jüngeren in multiethnischen Kontexten lebenden Personen nicht der Fall ist.
Ein wichtiger Faktor ist also der eigene kulturelle und soziale Hintergrund [Link: https://www.anti-bias.eu/biaseffekte/soziale-herkunft-chancen-diskriminierung/]. Wie wir aus der Sozialpsychologie wissen, bewerten wir Mitglieder der eigenen Gruppe durchwegs besser als Angehörige sogenannter Out-Groups (nicht ohne Grund bedienen sich Politiker häufig des eigenen Dialekts, um volksnah zu erscheinen). Dieser Nativismus wird unter anderem durch die automatische Einschätzung einer Person anhand ihrer Sprache gesellschaftlich verfestigt.
Durch die Schnelligkeit und Autonomie dieser Assoziationsprozesse sind ihr Auftreten allerdings nur schwer zu verhindern. Was sich hingegen kontrollieren lässt ist, ob sie sich auch auf unser Verhalten auswirken. Hier sind Studien zu automatischen Vorurteilen gegenüber Personen mit einer anderen sozialen Herkunft bei Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen besonders aufschlussreich. Denn in dieser Berufsgruppe konnte kein Bias aufgrund von sozialer Herkunft gefunden werden. Vielmehr kam es zu einer Reflexion des eigenen sozialen Hintergrunds und dessen mögliche Auswirkungen auf die berufliche Praxis.
So reduzieren Sie den Accent Bias
Die folgenden fünf Strategien haben sich als erfolgreich zur Reduzierung des Accent Bias, insbesondere bei der Personalbeurteilung, erwiesen:
- Bewusstsein wecken: Werden Sie sich bewusst, welche Macht in automatischen Stereotypierungen steckt. Identifizieren Sie Situationen, in denen Accent Bias häufig auftreten und absolvieren sie ein Unconscious Bias Training.
- Irrelevante Informationen ausblenden: Committen sie sich, irrelevante Informationen bei ihren Entscheidungen zu ignorieren. Erstellen Sie dafür Wenn-Dann-Pläne. Z.B. wenn ein Kandidat einen Akzent hat, achte ich nicht darauf.
- Committment zu Fairness: Erstellen Sie objektive Kriterien und verpflichten Sie sich, nur anhand dieser zu beurteilen.
- Verantwortlichkeit erhöhen: Überlegen Sie, wir sie ihre Entscheidung begründen würden.
- Fokus auf Vielfalt: Lenken Sie ihre Aufmerksamkeit auf Diversity und die vielen damit verbunden Vorteile.
Weiterführendes und Quellen:
- https://www.spektrum.de/news/stereotype-was-wir-aus-einem-akzent-heraushoeren/2052456
- https://www.diversityincbestpractices.com/study-finds-perceptions-of-speech-lead-to-class-bias-in-hiring
- https://accentbiasbritain.org/
- Kraus, M. W., Torrez, B., Park, J. W., & Ghayebi, F. (2019). Evidence for the reproduction of social class in brief speech. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(46), 22998–23003. https://doi.org/10.1073/pnas.1900500116
- Levon, E., Sharma, D., Watt, D. J. L., Cardoso, A., & Ye, Y. (2021). Accent Bias and Perceptions of Professional Competence in England. Journal of English Linguistics, 49(4), 355–388. https://doi.org/10.1177/00754242211046316
- Stephens, N. M., & Townsend, S. S. M. (2019). Understanding how people detect social class from speech requires taking a cultural psychological perspective. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(48), 23871–23873. https://doi.org/10.1073/pnas.1916908116
- Vlietstra, T., Woodger, N., Northeast, T., McNamara, A. J., & Morison, L. (2021). ‘Lower’ social class of a client evokes class self‐awareness rather than discrimination in clinical reasoning: A video vignette study among British psychological and psychotherapeutic professionals working in the NHS. Counselling and Psychotherapy Research, 21(2), 335–347. https://doi.org/10.1002/capr.12318
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möglichst bias-frei gestalten können.
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Manfred Wondrak, MBA
Tel: +43 1 581 19 09