Perspektivenübernahme – in die Schuhe des Gegenübers schlüpfen

von | 22. 03. 2019

Die Perspektivenübernahme ist eine effektive Möglichkeit automatische Stereotype hintenanzustellen und auf die Ebene der bewussten Auseinandersetzung zu gelangen.

 

Stereotypes Denken und Verzerrungseffekte (Biases), die dadurch entstehen sind allgegenwärtig. Um Fehlentscheidungen durch automatische Stereotypen zu minimieren, können spezielle Methoden eingesetzt werden. Die Perspektivenübernahme ist eine effektive Möglichkeit automatische Stereotype hintenanzustellen und auf die Ebene der bewussten Auseinandersetzung zu gelangen.

 

Mechanismen der Perspektivenübernahme

Unter dem Konzept der Perspektivenübernahme, das aus der Sozialpsychologie stammt, ist die Betrachtung einer bestimmten Situation aus einem anderen Blickwinkel zu verstehen. Die Standpunkte, Ansichten, Haltungen und Sichtweisen des Gegenübers werden durch Einnehmen seiner/ihrer Rolle versucht nachzuvollziehen. Diese aktive und bewusste Auseinandersetzung mit der Perspektive von Anderen hat zur Folge, dass unbewusste stereotype Denkprozesse weniger tragend werden.

Versuchen wir z.B. in einem Einstellungsgespräch, die Perspektive eines asiatischen Bewerbers zu übernehmen, fällt es uns leichter den Stereotyp der Gruppe „Asiaten“ hintenanzustellen, da andere/weitere Kategorisierungsmerkmale aktiviert werden. In den meisten Fällen gelingt es uns nicht, die Perspektive des Gegenübers vollständig zu übernehmen, viel mehr stellen wir uns vor wie es uns selbst in „dessen Schuhen“ gehen würde. Dadurch werden nicht nur Stereotype zurückgedrängt, auch wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der jeweiligen Person sowie mit der gesamten Gruppe, der diese Person angehört, erhöht. Der Grad dieser Überlappung zwischen Selbst und Gegenüber scheint ausschlaggebend für die Effektivität der Perspektivenübernahme zu sein. (Galinsky & Moskowitz, 2000)

Perspektivenübernahme führt somit meist zu einer positiveren Einschätzung der Person, weniger stereotypen Äußerungen und Handlungen sowie zu einer schwächeren oder gar ausbleibenden Aktivierung des Stereotyps. Diese positiven Effekte sind unabhängig von dem Grad der sozialen Sensitivität des jeweiligen Stereotyps. Perspektivenübernahme ist daher gleich effektiv unabhängig davon, ob es dabei z.B. um eine Person hohen Alters (wenig sozial sensitiv), oder einer/einem Angehörigen einer ethnischen Minderheit (hoch sozial sensitiv) geht (Galinsky, & Moskowitz, 1999).

 

Grenzen der Perspektivenübernahme

Wie die meisten Methoden zur Bekämpfung von Stereotypen, bringt aber auch die Perspektivenübernahme Einschränkungen mit sich. So zeigte sich, dass der positive Effekt nicht von einer stereotypisierten Gruppe auf die andere übertragbar ist. Perspektivenübernahme gegenüber älteren Personen, wirkt sich demnach nicht ebenso positiv auf die Einschätzung von ethnischen Minderheiten aus. Auch muss beachtet werden, dass diese Methode die Gefahr einer bevorzugenden Behandlung der jeweiligen Person, im Sinne der positiven Diskriminierung, mit sich bringen kann (Batson, Klein, Highberger, & Shaw, 1995). Wichtig in dem Zusammenhang ist daher eine allumfassende Auseinandersetzung mit Unconscious Biases, Stereotypen und dem Kennenlernen vieler Methoden und Tools um Maßnahmen dagegen zu entwickeln und Fehlentscheidungen vorzubeugen.

 

Praxistipp: Schlüpfen sie in die Schuhe ihres Gegenübers

Nutzen Sie die Methode Perspektivenübernahme in Interaktionssituationen, bei Konflikten und bevor Sie wichtige Personalentscheidungen treffen.

Ein Beispiel: Bevor sie z.B. ein Einstellungsgespräch führen, versuchen Sie sich vorzustellen wie es Ihnen selbst in der jeweiligen Situation gehen würde. Welche Sorgen und welche Wünsche in Bezug auf die Bewerbungssituation hätten Sie selbst z.B. als Angehörige*r einer ethnischen Minderheit? Solche kleinen Gedankenexperimente reichen oft schon aus, um den unbewussten Einfluss von Stereotypen abzuschwächen und bessere sowie fairere Entscheidungen zu treffen.

Eine Perspektivenübernahme kann auch angeleitet werden. Bitten Sie beispielsweise Konfliktpartner*innen sich in die Rolle des Gegenübers zu versetzen. Oder moderieren Sie einen Rollentausch bei Business-Meetings, indem die Teilnehmenden die Perspektive der Kund*innen reflektieren.

 

Andere Methoden, um automatischen Stereotypen entgegenzuwirken sind:

 

Weiterführendes

  • Batson, C. D., Klein, T. R., Highberger, L., & Shaw, L. L. (1995). Immorality from empathy-induced altruism: When compassion and justice conflict. Journal of Personality and Social Psychology, 68, 1042- 1054.
  • Galinsky, A. D., & Moskowitz, G. B. (2000). Perspective-taking: Decreasing stereotype expression, stereotype accessibility, and in-group favoritism. Journal of Personality and Social Psychology, 78(4), 708–724.
  • Galinsky, A. D., & Moskowitz, G. B. (1999). Stereotype suppression and perspective-taking in debiasing social thought: The role of stereotype and coanterstereotype accessibility.
  • Macrae, C. N., Bodenhansen, G. V., Miine, A. B., & Jetten, J. (1994). Out of mind but back in sight: Stereotypes on the rebound. Journal of Personality and Social Psychology, 67, 808-817.

 

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