Simultane Bewertungen von mehreren KandidatInnen führen zur Reduzierung von Gender Biases und zu objektiveren Ergebnissen, als Einzelbeurteilungen.
Stellen Sie sich eine Forschungsstätte vor. Was kommt Ihnen da in den Sinn? Wer arbeitet darin? Vermutlich denken Sie dabei überwiegend an Männer. Dieser Eindruck ist jedoch verzerrt. Auch wenn Frauen im Wissenschaftsbereich noch immer unterrepräsentiert sind, beträgt deren Anteil bereits mehr als 33% (Gesamt-EU-Durchschnitt 2015). Und die Zahl der Studentinnen übersteigt mittlerweile die Zahl der männlichen Studierenden, Tendenz steigend (European Commission, 2015).
Verzerrte Wahrnehmung durch Gender Bias
Die oben beschriebene verzerrte Wahrnehmung wird auch Gender Bias genannt. Wir haben eine interne Referenz, die sogenannten Stereotypen, welche durch unsere Sozialisierung und unsere Erfahrungen geprägt werden. Stereotype werden als Ankerpunkt im bewussten und unbewussten Wahrnehmungsprozess verwendet. Grundsätzlich haben diese die wichtige Funktion komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen. Damit ordnen wir die soziale Welt in Kategorien und so ergibt sich auch das „typisch Weibliche“ (z.B. Kindergärtnerin oder Sekretärin) oder „typisch Männliche“ (z.B. Wissenschaftler oder Vorstandsvorsitzender).
Aktuelle Studien (z.B. Banaji und Greenwald, 1995) zeigen, dass Gender-Biases automatisch aktiviert werden, sobald wir das Geschlecht einer Person wahrnehmen. Dies führt jedoch dazu, dass bei Personalentscheidungen geeignete KandidatInnen auf Grundlage ihres Geschlechts unbewusst diskriminiert werden könnten, ohne dass das mit rationalem Entscheidungskalkül begründbar wäre.
Evaluation Nudge zeigt: Bei Simultanbewertungen wird der Fokus auf Leistungen gelegt
Um den Gender Bias bei Personalbeurteilungen auszutricksen, haben die Harvard-ForscherInnen Iris Bohnet, Max Bazerman und Alexandra van Green (2012) einen Evaluation Nudge getestet. Ein Nudge ist eine verhaltensökonomische Intervention, mit der ein gewisses Verhalten bzw. eine gewisse Entscheidung angestoßen werden soll. Konkret bauten die WissenschaftlerInnen einen expliziten Vergleich in den Entscheidungsprozess ein. In anderen Worten, die Beurteilenden wurden mit mehreren Bewerbungen gleichzeitig konfrontiert.
Für die Tests wurden die StudienteilnehmerInnen in zwei Gruppen, eine Test- und eine Kontrollgruppe, eingeteilt. Beide Teams mussten jeweils eine Person entweder für eine typisch männlich besetzte Aufgabe (mathematischer Task) oder für eine typisch weibliche besetzte Aufgabe (kommunikativer Task) einstellen. Den entscheidenden Unterschied gab es bei der Präsentation und Bewertung der KandidatInnen. Der Testgruppe wurden mindestens zwei BewerberInnen gleichzeitig vorgestellt, die dann simultan beurteilt werden mussten. Bei der Kontrollgruppe erfolgte dies einzeln.
Die Ergebnisse sind beeindruckend. In den Einzelbeurteilungen wurden für die mathematische Aufgabe überwiegend Männer (66%) ausgewählt, bei der sprachlichen Aufgabe waren es fast nur Frauen (81%). Bei den Simultanbewertungen glich sich der Anteil Frauen und Männer jedoch auf rund 50%/50% aus. Zudem wurden bei vergleichenden Beurteilungen fast ausschließlich die besten KandidatInnen ausgewählt.
Vergleichende Bewertungen in der Praxis
Vergleichende Beurteilungen sind an sich nichts Neues. Viele ProfessorInnen an Universitäten bewerten so die Arbeiten ihrer Studierenden. In Unternehmen ist dies jedoch anders. Einer Untersuchung aus den USA zufolge, beurteilen die US-Unternehmen überwiegend noch einzeln. Und bei jenen die eine Simultanbewertungen durchführen, beschränkt sich die Vorgangsweise oft nur auf Jobs für BerufseinsteigerInnen oder auf niedrigere Funktionen.
Harvard-Professorin Iris Bohnet ist von dem Evaluation Nudge überzeugt (Bohnet, 2016) und sie betont: „Ich kann die vergleichende Beurteilung jeder Organisation empfehlen. Damit verschwindet nicht nur der Gender Gap, sondern es werden auch die Top-Performer ausgewählt.“
Wie Sie Rekrutierungsprozesse möglichst bias-frei gestalten können, finden Sie in unserer Serie Personalfindung ohne Vorurteile.
Weiterführendes:
- Mahzarin, B. R., Greenwald, A. G. (1995): Implicit Gender Stereotyping in Judgments of Fame. In: Journal of Personality and Social Psychology, 68, 181-198.
- Bohnet, I. (2016): What Works. Gender Equality by Design. The Belknap Press of Harvard University Press: Cambrige.
- Bohnet, I., A. van Geen, and M. H. Bazerman (2012), When performance trumps gender bias: Joint versus separate evaluation. Working Paper. Harvard Business School.
- European Commission (2016): She Figures 2015. https://ec.europa.eu/research/swafs/pdf/pub_gender_equality/she_figures_2015-final.pdf
- Schmitt, Norma (2015): Zum Potential einer festen Geschlechterquote. In: DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Wochenbericht Nr. 40/2015. S 887-897