Wir suchen oft nach Personen, die gut in unsere Organisation passen – und tappen dabei in zahlreiche Bias-Fallen.
In Recruiting-Prozessen spielt neben der fachlichen Qualifikation und der Berufserfahrung oft eine Frage eine entscheidende Rolle: Wer passt gut in unsere Organisation? Oft sucht man also nach einem Cultural Fit – und tappt dabei in zahlreiche Bias-Fallen. Die bessere Frage wäre eigentlich: Wer ergänzt uns am besten? Einen Culture Add einzustellen bringt zahlreiche Vorteile mit sich.
Cultural Fit – wer passt gut in unser Unternehmen
Stellen Sie sich vor, Sie möchten eine Band gründen. Wenn Sie selbst Gitarre spielen, werden Sie nicht nach drei weiteren Gitarrist*innen suchen, sondern nach Personen, die andere Instrumente spielen als Sie selbst – das heißt nach Personen, die Ihre Fähigkeiten gut ergänzen. Wenn es im Arbeitskontext darum geht, ein neues Teammitglied einzustellen, passiert aber oft genau das Gegenteil: die neue Person ist den bereits bestehenden Teammitgliedern ähnlich und passt daher auf einer persönlichen Ebene gut ins Team, die Qualität des Outputs verbessert sich aber nicht spürbar.
Die Suche nach einem Cultural Fit beruht laut Autor und CEO Shane Snow auf einer falschen Schlussfolgerung. Wir wissen, dass Menschen gerne mit anderen Menschen zusammenarbeiten, die ihnen in ihren Interessen und ihrer Persönlichkeit ähnlich sind – der Ähnlichkeitseffekt beschreibt dieses Phänomen. Das bedeutet allerdings nicht, dass homogene Teams auch qualitativ bessere Arbeit verrichten. Suchen wir nach einem Cultural Fit, dann meinen wir nach einer Person zu suchen, die gut in die Organisation passt und sich mit deren Werten identifiziert. Da diese Werte abstrakt sind, orientieren wir uns dabei tendenziell an der bestehenden Belegschaft, um dieses „zu uns passen“ greifbarer zu machen – und tappen schnell in die Falle des Ähnlichkeitsfehlers.
“Without a thoughtful process in place, ‘cultural fit’ can become very personal and veer into ‘social fit’ — hiring people that you click with or who are like you. Organizations then run a big risk of discriminating against candidates from different backgrounds.” Connor Lynch, EVP und Managing Director, Rescue Agency.
Weitere Biases bei einer Cultural Fit – Suche
Andere Unconscious Biases, die auftreten können, wenn man nach einem Cultural Fit sucht, sind:
- Bestätigungsfehler: Bezeichnet die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Dabei werden Informationen, welche die eigenen Erwartungen widerlegen, unbewusst ausgeblendet.
- Halo-Effekt: Ein Merkmal überstrahlt alle anderen. Wir schließen von einem markanten Aspekt, der alle anderen überstrahlt (Halo = Heiligenschein), auf andere Eigenschaften einer Person, auch wenn hierfür keine belastbaren Anhaltspunkte vorliegen.
- Affektheuristik: Man verlässt sich in der Entscheidungsfindung sehr stark auf Gefühle. Informationen und Argumente werden als überzeugender eingeschätzt, wenn sie mit den subjektiven Gefühlen übereinstimmen. Gegenargumente werden abgewertet, um einen Widerspruch zu vermeiden.
- Anker-Effekt: Tendenz, sich unbewusst von einem bestimmten Referenzpunkt (dem „Anker“) bei der Entscheidungsfindung beeinflussen zu lassen. Der Anker ist meist die erste Information, die in Bezug auf eine Entscheidung aufgenommen und verarbeitet wird.
Das Problem, das der Suche nach einem Cultural Fit meist zugrunde liegt, ist dass niemand genau weiß, wie „Fit“ zu definieren ist und wonach man genau sucht. Lauren Rivera hat für ihr Buch Pedigree: How Elite Students get Elite Jobs 120 Interviews mit Entscheidungsträger*innen in Recruiting-Prozessen durchgeführt. 82% ihrer Interviewpartner meinten, dass Cultural Fit eines der wichtigsten Kriterien im Recruiting-Prozess sei, aber nur knapp 50% konnten benennen, was ihre Organisationskultur ausmacht. Und nur ein Drittel hatte auch klare Tools und Checklisten, um „Fit“ messbar und vergleichbar zu machen.
Tipps für mehr Vielfalt in Teams
Was kann man also tun, um Perspektivenvielfalt im Team zu schaffen und gleichzeitig gemeinsame Werte als verbindendes Element zu berücksichtigen? Wir haben 5 Tipps für Sie:
- Vision und Mission definieren: Was macht Ihre Organisation aus? Wofür steht Ihre Organisation, was wollen Sie erreichen? Kommunizieren Sie Ihre Werte nach innen und außen.
- Anbindung an Strategie: Wo und wie knüpfen Ihre Werte an Ihre Business-Strategie an? Welche unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten müssen Bewerber*innen mitbringen, damit Ihre „Band“ erfolgreich ist?
- Messbarkeit: Entwickeln Sie ein System, um im Rekrutierungsprozess persönliche Eigenschaften und Verhalten messbar zu machen. So zu tun, als würde uns Sympathie nicht beeinflussen, verzerrt Entscheidungen mehr, als Punkte für Sympathie zu vergeben.
- Zukunftsorientierte Bedarfsanalyse: Welche Aufgaben hat die neue Person zu erfüllen und welche Herausforderungen könnten in Zukunft damit verbunden sein? Machen Sie eine zukunftsorientierte Bedarfsanalyse, um die neue Person bewusst vom bestehenden Team loszukoppeln.
- Suche nach Ergänzung: Drehen Sie die Frage, wer zu Ihnen passt, einfach um und fragen Sie sich, welche Perspektiven, Fähigkeiten und Stärken in Ihrem Team fehlen. Für den Erfolg Ihres Teams ist nicht ausschlaggebend, ob sich Ihre Teammitglieder privat gut verstehen und miteinander abends auf ein Bier gehen würden, sondern ob sich ihre Talente so ergänzen, dass etwaige individuelle Schwächen durch die Stärken einer anderen Person ausgeglichen werden.
Culture Add statt Cultural Add – Die Vorteile
Man such dann also nicht mehr nach einem Cultural Fit, sondern vielmehr nach einem Culture Add. Ein Culture Add Mindset im Recruiting wirkt sich langfristig positiv auf die Innovationsfähigkeit und Produktivität eines Teams aus, da das Einstellen von Culture Adds folgende Vorteile mit sich bringt:
- Ideen- und Perspektivenvielfalt: Diverse Teams bestechen durch ihre Resilienz, ihre Anpassungsfähigkeit, durch neue Lösungsansätze und ihre Kreativität.
- Talente ergänzen einander und werden nicht gedoppelt: Wenn Ihre Teammitglieder verschiedene Instrumente spielen, wird bessere Musik entstehen, als wenn alle Schlagzeug spielen.
- Verlassen der Komfortzone: Ein homogenes Team verspricht Vertrautheit und Bequemlichkeit, ein diverses Team fordert uns und lässt uns wachsen – individuell, als Team und als Organisation.
Gemeinsame Werte und die Organisationskultur werden immer zentrale Erfolgsfaktoren eines Unternehmens sein. Durch eine Abkehr vom Cultural Fit hin zu einem Culture Add gestalten Sie Ihre Recruiting-Prozesse proaktiv anstatt reaktiv: Ihre Organisation blickt in die Zukunft, anstatt sich an der Vergangenheit zu orientieren.
Weiterführendes und Quellen:
- Lynch, C. (2021): Hiring For Culture. Youtube Webinar.
- Miles, M. (2022): It’s time to stop asking culture fit questions — think culture add. Better Up.
- Rivera, L. (2015): Pedigree: How Elite Students get Elite Jobs. Princeton UP.
- Snow, S. (2020): Culture Add: The Antidote To Culture Fit. Forbes.
- Spiegelman, P. (2021): Is Hiring For Culture Fit Perpetuating Bias? Forbes.
In unseren Workshops „Unconscious Bias im Recruiting“
erlernen Sie, wie Sie Recruitingprozesse
möglichst bias-frei gestalten können.
Nehmen Sie Kontakt auf:
Manfred Wondrak, MBA
Tel: +43 1 581 19 09